Pfiffige Kirchenleute

In diesen verweltlichenden Zeiten reicht es nicht mehr nur aus, Gottes Wort zu verkündigen, um Menschen in die Kirchen zu locken. Angesichts der vielfältigen Konkurrenz durch andere Sinn- oder Zerstreuungsanbieter muss die frohe Botschaft angemessen verkauft werden. Und gerade im Bonner Umfeld lässt sich eine Menge lernen, wie Kirchenangebote allein durch die Namensgebung attraktiver gestaltet werden können.

Früher gab es zum Beispiel nur den Kirchenkaffee nach manchen Gottesdiensten. Heute heißen diese Beisammensein auch schon mal „Gemeindecafé“ oder „Kirchenbistro“. „Sonnenaufgangsgottesdienst“ hört sich spannender an als Frühmesse. Und hinter den poetischen „Himmelsklängen“ verbirgt sich ein offenes Singen für jedermann und jederfrau. In einer weiteren Gemeinde heißt der Stammtisch für Alleinlebende augenzwinkernd „Strandgut“.

Zur „Jazzvesper“ würde ich persönlich lieber gehen als zur einfachen Vesper. Und der „Stärkungsgottesdienst“ verspricht mehr als der gewöhnliche Gottesdienst. Auch zu besonderen Anlässen verstehen die Kirchenleute, ihr Verkündigungsangebot aufzupeppen, mit Kostümen oder Mundart zu Karneval oder mit echtem Esel am Palmsonntag. Heute Morgen gab es in einer Bonner Gemeinde übrigens einen Gottesdienst mit „Mütterüberraschung“. Was in dieser Wundertüte wohl drin war?

Kochen mit Commissario Brunetti

Krimis und Kulinarisches passen gut zusammen. Das beweist ein venezianischer Abend in der Familienbildungsstätte

Acht Feinschmecker sind an diesem Abend in der katholischen Familienbildungsstätte Bonn, aber auch bei Commissario Guido Brunetti zu Gast. Der Kriminalkommissar aus den Romanen von Donna Leon bestimmt, was in der Lehrküche auf den Tisch kommt. Und natürlich Kursleiterin Annette Hartmann. Die kulinarische „Buchverkosterin“ aus Köln hat das Menü zusammengestellt: Kürbisrisotto mit Salbeileber, Pilzravioli sowie Apfelkuchen mit Zitrone, Orange und Grand Manier.

Die amerikanische Schriftstellerin Donna Leon lebt und arbeitet in Venedig, ebenso wie ihr berühmter Kommissar Brunetti, der schon 22 Fälle in der Königin der Städte, der so genannten „Serenissima“, gelöst hat. Brunetti ist schlau, spitzbübisch und charismatisch. „Und er isst und trinkt gerne“, sagt Annette Hartmann, um gleich darauf mit einem Gläschen Pinot Grigio auf den Abend anzustoßen. Dann erzählt sie noch ein wenig vom kulturellen Aufschwung Venedigs vom kleinen Fischerort zur Seemacht und einiges über die Besonderheiten der italienischen Küche.

Danach geht es an die drei Arbeitsstationen in der Lehrküche. Jedes Team nimmt sich einen Gang vor, alle dürfen später mit der Nudelmaschine selbst Raviolis machen und füllen. Die getrockneten Pilze für die Füllung lassen sich wunderbar mit einer Fünfziger-Jahre-Kaffeemühle vom Flohmarkt pulverisieren, verrät Annette Hartmann. Und auch sonst steht sie den Hobbyköchen mit Rat am Herd zur Seite, bevor es zur Verkostung von Krimi-Passagen und den passenden Gerichten geht.

Das Risotto mit der zarten, in Salbeibutter gebratenen Hühnerleber stammt aus „Endstation Venedig“, wo Brunetti auf Seite 180 zu Hause von einem feinen Kürbisgeruch begrüßt wird. Der Nachschlag geht an ihn. In „Nobiltà“ dagegen ist sein Appetit nicht so groß wie sonst, denn Tochter Chiara kocht ab Seite 123 ihre ersten eigenen Pilzravioli. Und Brunettis Frau Paola bläut ihm ein, dass alle das erste Essen der Tochter wunderbar finden werden.

Zum Finale serviert Paola im „Gesetz der Lagune“ ab Seite 243 ihren berühmten Apfelkuchen. Auch der echte Kuchen in der Familienbildungsstätte ist dank eines exquisit kochenden Paars und der selbst kandierten Orangenschalen ein Genuss. Die Teilnehmer finden, dass Krimis und Kochen sehr gut zusammenpassen. Und es muss auch nicht immer Kaviar sein, wie die kulinarische Reise ins durchlauchtigste Venedig bewiesen hat.

„Auch andere Mütter…“

Walter Schmidt schreibt über die bekanntesten Erziehungsfloskeln und was sie über die Eltern verraten

Elternsätze sollten wie Sprichwörter eine eigene Gattung bilden. Jeder kennt die gewollt lehrreichen Mahnungen, die Mama und Papa früher oft gebetsmühlenartig wiederholten, die aber genauso wenig fruchteten: „Es gibt noch Fußballspiele, dann leben wir nicht mehr“, sagte die Mutter immer, wenn der Sohn ins Bett musste, statt weiter fröhlich Europapokal im Fernsehen zu gucken. „Wer feiern kann, kann auch arbeiten“, sagte der Vater am Tag nach der viel zu harten Abi-Fete. Und der Klassiker handelte vom Aufessen: „Die Kinder von Äthiopien wären froh, wenn Sie so was Leckeres hätten.“ Wären Sie das wirklich?

Der Bonner Autor und Journalist Walter Schmidt hat sich der bekanntesten Erziehungsfloskeln angenommen. In seinem neuen Sachbuch „Solange du deine Füße…“ nimmt er 60 Elternweisheiten unter die Lupe, die wohl jeder in dieser oder anderer Form schon einmal gehört hat. Das ist ebenso unterhaltsam wie lehrreich, zumal Schmidt diverse Erziehungsexperten zu Wort kommen und auch seine eigenen Erfahrungen einfließen lässt. Schließlich ist der Autor, Jahrgang 1965, selbst Vater einer 15-jährigen Tochter.

Dabei sieht Schmidt die Rolle der Eltern – auch aus eigener Erfahrung als Sohn – durchaus kritisch: „Denn was nachdenkliche Eltern verstören kann und gerne auch darf, ist ihre Neigung, die eigenen Kinder mit denselben Maximen und Ermahnungen zu traktieren, denen sie selbst früher ausgesetzt waren und die mit der Zeit zu eingefleischten Familienregeln geworden sind.“ Und in der Tat ertappen sich auch die Eltern von heute regelmäßig dabei, das „vorformulierte Weisheitsgut“ strategisch oder manchmal auch unbewusst einzusetzen. Und zwar so oft, dass die Kinder die Elternfloskeln adaptieren und gegen ihre Erzeuger anwenden.

„So gehst du mir aber nicht aus dem Haus!“ ist so ein Spruch, den sich vor allem junge Mädchen immer wieder anhören müssen, wenn sie sich für eine Party aufbrezeln, um dort aufzufallen und mir ihren Reizen zu spielen, während Papa und Mama die unbestimmbare Angst haben, die Tochter werde wegen ihres anzüglichen Aufzuges gewiss umgehend geschwängert oder vergewaltigt.

Für Eltern wie Kinder gilt es, den Mittelweg zu finden. „Sei bloß vorsichtig!“ ist auch so ein Satz, den Walter Schmidt auseinander nimmt. „Für einen Hammer sieht alles aus wie ein Nagel“, beschreibt er die missliche Lage übervorsichtiger Eltern, die in jeder Handlung des Kindes zuerst die damit verbundenen Gefahren sehen. Dabei muss ein Kind doch ausprobieren, wozu es fähig ist, konstatiert Schmidt und zitiert Anselm Grün: „In den Schutzengel vertrauen und die nötigen Vorsichtsmaßnahmen treffen.“

In seinem neuen Buch durchleuchtet Walter Schmidt Erziehungsfloskeln.

In seinem neuen Buch durchleuchtet Walter Schmidt Erziehungsfloskeln.

Das Titel gebende „Solange du deine Füße unter unseren Tisch stellst…“ wertet Schmidt als Machtgehabe und Drohgebärde, die mitunter mit Erfahrungen aus der eigenen Kindheit zu tun habe. Mit dem Psychologen Hans-Werner Rückert plädiert Walter Schmidt für Diskurs und Streit statt unbedingter Folgsamkeit: „Man lernt, sich mit den eigenen Standpunkten und Meinungen auch gegenüber wichtigen Menschen durchzusetzen und sich wohlzufühlen, auch wenn man mit ihnen nicht übereinstimmt.“ So lernen Kinder, jene Spannungen zu ertragen, die sich aus Konflikten ergeben – eine der Schlüsselqualifikationen, die sie dringend im Leben brauchen.

Zu den Grundtugenden gehört auch der wertschätzende Umgang mit Nahrungsmitteln. Der Satz „Anderswo hungern die Kinder, und du wirfst dein Pausenbrot weg!“ ist aber nur bedingt hilfreich, schreibt Schmidt: „Kein junger Afrikaner stirbt an Nahrungsmangel, weil ein deutsches, englisches oder französisches Kind seine Mohnschnecke oder seine Bratwurst nicht aufisst.“ Statt des erhobenen pädagogischen Zeigefingers wäre es sinnvoller, von der Verschwendung in Deutschland zu erzählen, zum Beispiel dass jedes Jahr pro Kopf 82 Kilogramm noch verwertbarer Lebensmittel im Müll landen. Überzeugen statt Abwatschen, lautet das Motto.

„Auch andere Mütter haben schöne Töchter!“ inspiriert den Autor zu einer Abhandlung über die Biologie des Liebeskummers. Der Liebeskranke brauche Rückhalt und das Gefühl, nicht alleine mit seinem Schmerz zu sein. Da helfen keine Floskeln, sondern lieber ein ehrlich hilfloser, aber mitfühlender Satz wie „Ja, so was kann wehtun“ oder „Ich sehe, wie sehr dich das schmerzt, aber ich bin bei dir“.

Walter Schmidt ermuntert Eltern, ihren Kindern nicht immer nur zu sagen, was sie tun oder nicht tun sollten, sondern sie laufen und selber entscheiden zu lassen. Der Bonner Journalist zitiert den Kinderbuchautor und Vater von „Pettersson und Findus“, Sven Nordqvist: „Lass sie laufen, und wenn sie nahe an die Grenzen kommen, lauf hin und fang sie auf.“ Walter Schmidt plädiert ebenfalls dafür, den Kindern einen weiten Spielraum zu eröffnen und ihnen Dinge eher vorzuleben als sie ihnen zu verbieten oder vorzuschreiben.

Walter Schmidt: Solange du deine Füße… Was Erziehungsfloskeln über uns verraten. Eichborn, 286 S., Klappenbroschur, 14,99 Euro.