Das deutsche Nationalknie

Wie der Pfarrbrief überliefert, bezeichnete „Uns Papst“ Benedikt XVI. den Fußball einst als „das Heraustreten aus dem versklavten Ernst des Alltags in den freien Ernst dessen, was nicht sein muss und deshalb so schön ist“. Nach der Fußball-WM will ich in den versklavten Ernst aber eigentlich  gar nicht mehr zurück, weil’s im freien Spiel so herrlich schön ist.

Schuld daran sind auch die lieben Kleinen. So verbringe ich fast jede fernsehfußballfreie Zeit auf dem Bolzplatz: um die schönsten Tore der WM zu kassieren, um in einer Halbzeit mit Abklatschen und Umarmen drei Mal den Torwart zu wechseln und um im Kleinkinder-Spielhäuschen wie in der Kabine bis zum Wiederanpfiff zu kauern. Meine Coaching-Zone befindet sich direkt unter dem viel zu tief hängenden Nussbaum, und als Balljunge kämpfe ich mich wacker durch äußerst fiese Brombeerstacheln.

Die WM beeinflusst mittlerweile massiv unsere Wahrnehmung. So meint der Sohn, der DFB-Unterschriftenball riecht nach der deutschen Nationalmannschaft. Und nach Auslegung unserer Tochter hat Mario Götze  das „deutsche Nationalknie“ gegründet. Sehr praktisch findet sie übrigens auch den Heimbonus: „Wenn Brasilien verliert, muss es gar nicht nach Hause fahren.“

Der Sohn möchte niemals Trainer werden, weil die ja nachher immer mit Bier übergossen werden. Aber auch die Spieler haben’s nicht immer leicht, werden sie doch hemmungslos verkinderreimt. Beispiel: „Miroslav Klose – macht sich in die Hose!“ Mein Lieblingsschlachtruf aber gilt Prinz Poldi: „Lukas Podolski – Unterhosenscholzki!“ Und das ist ganz bestimmt lieb gemeint.

Jome und die Elfenbeiner

„Hummels! Hummels! Hummels! Auf Özil. Zu Götze. Götze! Götze! Und Toooor!!!“ Herrlich, wenn kleine Fußballfans die WM-Gruppenspiele der großen deutschen Nationalkicker nachspielen. Das ist nur eine von vielen Nebenwirkungen, die der übermäßige Genuss von Fußball-WM-Spielen mit sich bringt.

fussballbrettchen

Frühstück für WM-Freunde mit stilechtem Brettchen und dem Sportteil des General-Anzeigers.

Die WM ist selbst für physisch starke Familienväter eine körperliche und geistige Herausforderung. Dieser ständige Schlafmangel in Verbindung mit ungesunder Fankost fordert dem Fußballfan alles ab. Und die lieben kleinen Teufelskicker brillieren schon morgens ab 6 Uhr mit blitzschnellem gedanklichen Umschaltspiel. „Kevin-Prince Boateng ist der Bruder von Boateng“, erklärt der fußballverrückte Bruder. „Der eine spielt bei Bayern und der andere bei Schalke.“ Worauf seine Schwester erstaunt entgegnet, dass es offensichtlich auch zweieiige Eier gibt.

Der Boateng ohne Vornamen heißt auf dem Spielplatz übrigens „Jome“, und der Mesut wird liebevoll „Misut“ gerufen. Hauptsache, wir wissen, wer gemeint ist. Gleiches gilt auch für die „Elfenbeiner Küste“. Geradezu sprachmystisch wird es, wenn der Fußballsohn auf die kommende Paarung im „Siebtelfinale“ verweist. „Deutschland gegen Spanien – 4:4“.

Wir haben da unsere Zweifel, freuen uns aber über die spielerische Freiheit im Umgang mit den Fakten und über die gesunde Einstellung unseres Fünfjährigen, sein Herz nicht nur an eine Mannschaft zu hängen. Als ich ihn bei einem Spiel fragte, für wen er denn ist, meinte er nur: „Ich bin für die Mannschaft, die gewinnt.“

Bilder für die Ewigkeit

Neulich habe ich Marco Reus an der Tankstelle getroffen. Leider war’s nur ein Doppelgänger des echten, der ja leider verletzt ist. Schade, dass der Überfallstürmer mit Tolle und Tattoo nicht dabei ist. Wieder einer mehr, der vor der WM fürs Sammelalbum abgelichtet wurde und jetzt zwar da ist, aber in Brasilien dennoch fehlt.

Im Album dabei, auf'm Platz nicht: Fußballer mit und ohne Glitzer.

Im Album dabei, auf’m Platz nicht: Fußballer mit und ohne Glitzer.

Die Fußballbilder und Sammelkarten sind heiß begehrt, und in so manchen Haushalten hängt der Haussegen schief, wenn bis zum Ende der Gruppenphase das Heft noch nicht voll ist. Das spiegelt sich in der Kommunikation. Vater: „Wir gehen einkaufen.“ Sohn: „Für mehr als zehn Euro?“

Da lohnt es sich, gute Beziehungen zum Personal zu pflegen. Neulich bekamen Freunde meines Sohnes bei einer Lieblingskassiererin 38 Fußballkarten. Wow! Und wenn trotz solcher unerwarteter Bildersegen immer noch ein paar fehlen, geht man einfach zum Supermarkt mit der Tauschkiste. Die funktioniert wie ein offener Bücherschrank für Fußballbilder: Doppelte rein, noch Fehlende raus.

Jetzt geht’s für Jogis aktuelle Elf endlich auch auf dem Platz richtig los. An die Stelle von Bildchen und Karten rücken Kicker aus Fleisch und Blut. Vorwärts, Jungs, macht unser Sammelalbum zur bleibenden Erinnerung an den vierten WM-Titel! Mit oder ohne Glitzer.