Wir sind Deutschland

Rosinenbomber

Bomber für die Nation.

Im Haus der Geschichte kann ich mit den Pänz durch meine eigene Kindheit gehen. Nach dem Wahlkampf-Plakat mit Helmut Kohl kommt ein Schaufenster mit Gegenständen der 1980er Jahre: Heimtrainer, Rollschuhe, Commodore 64, Aerobic mit Jane Fonda. Auf neun TV-Bildschirmen flimmern Sendungen meiner Kindheit: Schwarzwaldklinik, Hitparade, Ich heirate eine Familie. „Das habe ich gern gesehen, als ich so alt war wie du“, sage ich meiner staunenden Tochter.

Im Sauseschritt geht es vorbei an Themenwelten: RAF, Gorleben und Die Grünen, Stahlindustrie und Digitaler Fotosatz, Umweltschutz und FCKW-freier Kühlschrank.

Spaß macht aber auch die Zeit, als noch keiner von uns da war: Am Ende des Zweiten Weltkriegs ordnen wir Deutschland neu und mit dem Touchscreen die Wappen den Bundesländern zu, bewundern einen Rosinenbomber aus Rosinen, sitzen in Adenauers Bundestag und bestaunen den schwarzen Wirtschaftswunder-Käfer.

Wir haben die Gesprächsstoff-Postkarten des Hauses dabei, die mit Stichworten wie „Gänsehaut“ und „Kopfschütteln“ Gefühle wecken sollen. Und tatsächlich: Beim Gang durch die Dauerausstellung verbinden sich persönliche Erinnerungen mit dem großen bundesdeutschen Gedächtnis. Wo war ich noch mal, als die Mauer fiel?

Am Ende die letzten Bundestagswahlen mit Mutti Merkel, der bislang einzigen Bundeskanzlerin meiner Kinder. Zum Abschluss schreiben wir die schlicht-schöne Worte von Bundestagspräsident Norbert Lammert ins Gästebuch: „Wir sind Deutschland.“ Mit allem, was dazugehört.

Waffeln statt Waffen

Wer einen Tapeziertisch für den Altstadt-Flohmarkt kauft, ist kein Handwerker, sondern ein Händler. Und der Frühlingssamstag zum Kirschblütenfest eignet sich wieder einmal perfekt, um kleine und etwas größere Flöhe ab 50 Cent unters Flaniervolk zu bringen.

Die Waren wechseln den Besitzer. Dabei haben sie es oft gar nicht so weit – gerade wenn Kinder dabei sind. Dann geht der Playmobil-Zirkus für einen Spottpreis von zwei Euro zum Tischnachbarn rüber. Im Gegenzug bekommt das lustige Pferd mit Wieher- und Trappel-Geräuschen ebenfalls schnell eine neue Heimat. Manche unserer Ladenhüter bleiben dagegen weiterhin: Ladenhüter.

Aber das ist gar nicht so schlimm, weil ja das Drumherum stimmt. Es ist ein bisschen wie auf einem Kindergeburtstag: Die Altstadt feiert sich selbst, und alle kommen. Es gibt Kuchen und Würstchen im Brötchen und Kaffee und Sekt und Bier. Und sogar fliegende Waffeln.

Nebenan haben die Nachbarn nämlich eine Waffelrutschbahn aufgebaut, die aus dem Obergeschoss Waffeln nach unten befördert. Und wer seine Waffel nicht herabgerutscht haben möchte, kann sie auch aus der Luft fangen unter dem großen Waffel-Katapult. Dazu spielen extrem talentierte Kleinkünstler auf einer Hammond-Orgel und singen näselnd durch ein Telefon-Megaphon. Das ist den ganzen Nachmittag über sehr unterhaltsam. Und die süßen Köstlichkeiten fliegen und rutschen für einen guten Zweck durch die Straße. Frei nach dem „Brot statt Böller“-Gedanken heißt es heute: Waffeln statt Waffen. Noch ein Grund mehr, dieses Veedel zu lieben.

Dinos und Schweine

Welches Kitakind braucht schon eine Vorschule, wenn sein Alltag so überaus lehrreich ist? Zum Beispiel: Mathematik beim Bäcker. Denn da gibt es Roggenbrötchen, die aus zwei aneinander hängenden Brötchen bestehen. Nach dem Einkauf doziert der Knirps: „Weißt du, was ein Doppel ist? Zwei Mal Sachen, die einmal sind.“

Oder Sprachgebrauch im Haushalt. Sage ich schludrig: „Wir müssen das Ei wegbraten.“ Hakt er nach: „Dass es nicht mehr da ist?“ Auch in Sachkunde bleiben keine Fragen offen, etwa ob man im Schwitzkasten wirklich schwitzen kann und ob es darin besonders heiß ist.

Im Alltag entstehen wunderhübsche kindliche Wortschöpfungen: Die Bandnudeln heißen Teppichnudeln. Papas Wärmesalbe wird zur Bienenstichsalbe. Und die Klebe- ist nun eine gefährliche Heißfeuerpistole.

Vergleichende Tierkunde beherrscht der Kurze ebenfalls: „Dinosaurier sind schon ausgestorben. Wildschweine noch nicht.“ Apropos: Für sein Lieblingseinkaufgeschäft hat der Kleine kürzlich einen tollen neuen Namen gefunden: Unser Metzger heißt deshalb ab sofort nur noch Schweinebäcker.